Vorderes Kreuzband gerissen: Jetzt zählt die richtige Diagnose

By Katrin Glunk

September 10, 2021


Vorderes Kreuzband gerissen – 30.000 „Kreuzband-Plopps“ pro Jahr in Deutschland. Beim Skifahren und Fußball spielen ist das Risiko für eine Kreuzbandruptur besonders hoch. Einfache medizinische Tests weisen auf eine Verletzung des Kreuzbandes hin. Dieser Artikel erläutert alle diagnostischen Untersuchungen bei einem Verdacht auf eine Kreuzbandverletzung.

Unfall oder wie entstand der vordere Kreuzbandriss

Der Arzt stellt zunächst zwei zentrale Fragen: „Was ist passiert?“ und „Wie ist es genau passiert“? Die Antworten geben erste Hinweise auf den Verletzungsmechanismus im Knie.

Kreuzbandriss beim Fußball spielen und Skifahren

Beim Skifahren ist der typische Unfallmechanismus beim vorderen Kreuzbandriss der Einfädelsturz an der Torstange oder das Überkreuzen der Skier beim Sturz.

Beim Fußball existieren zwei typische Spielsituationen für die berührungslose Verletzung des Kreuzbandes: Das ist der schnelle Richtungswechsel oder eine bremsende Landung aus dem Sprung bei voller Kniestreckung. Das Video zeigt den Sturz nach vorne, indem der Spieler außen auf das fast feststehende Bein fällt und das Knie verdreht. Der Videoausschnitt demonstriert die drehende Bewegung in Vollstreckung bei (fast) aufgesetztem Fuß. Vorderes Kreuzband gerissen, bedeutet im jeden Fall eine längere Verletzungspause für alle Sportler.

Nach dem plötzlichen schmerzhaften Zerreißen eines Kreuzbandes berichten manche Sportler, dass sie ein „Plopp“ hörten. Das Knie wird innerhalb von Stunden sehr dick (Knieschwellung) und erste Hämatome (Bluterguss) bilden sich. Es gibt aber auch den „stillen“ Kreuzbandriss – etwa 3 % aller Patienten bemerken nur sehr schwache Kreuzband Symptome, wenn ihr Kreuzband reißt.

Kreuzbandriss ist nicht gleich ganzes Kreuzband kaputt

Bei der Diagnostik eines Kreuzbandrisses sind folgende Frage und Informationen für den Patienten wichtig. Hieraus leiten sich die operativen Behandlungsmöglichkeiten des Kreuzbandrisses ab:

Frage 1: Welches Kreuzband ist betroffen?

Zunächst muss zwischen dem vorderen (VKB) und hinteren (HKB) Kreuzbandriss unterschieden werden. Äußerst selten sind beide Kniestrukturen gleichzeitig von Verletzungen betroffen, da der Verletzungsmechanismus der Kreuzbänder unterschiedlich ist.

Frage 2: Um welche Form der Kreuzbandverletzung handelt es sich?

Mediziner sprechen bei einer Kreuzbandverletzung:

  • Von einem vollständigen vorderen Kreuzbandriss und einer Totalruptur des vorderen Kreuzbandes. Das gesamte vordere Kreuzband ist gerissen bzw. abgerissen.
  • Von einer Teilruptur des vorderen Kreuzbandes bzw. einer Partialruptur des vorderen Kreuzbandes. Nicht das komplette vordere Kreuzband ist durchtrennt, sondern nur Teilbereiche bzw. einige Kreuzbandfasern. Hier besteht evtl. die Möglichkeit, eine Healing Response OP durchzuführen.
  • Von einem verlängerten bzw. elongiertem vorderen Kreuzband. Hier muss nicht zwangsläufig eine Teilruptur vorliegen, sondern das Kreuzband kann „ausgeleiert“ und zu lang sein. Gründe sind ein Nicht-Einwachsen der Kreuzbandplastik oder „Materialprobleme“. Ein elongiertes Kreuzband gibt dem Knie keine Stabilität.
  • Nicht dislozierter (Knochenfragmente sind in der normalen anatomischen Lage) knöcherner vorderer Kreuzband-Ausriss (VKB-Ausriss). Das Kreuzband ist aus seiner Verankerung, z. B. an der Tibia (Schienbeinknochen) gerissen.

Frage 3: Sollte es sich um eine Teilruptur handeln, welches Bündel ist betroffen?

Das vordere Kreuzband (VKB) besteht aus mehreren, parallel verlaufenden Fasern, die in anteromediale (AM = „weiter vorne und zur Mitte hin“) und posterolaterale (PL = „hinten und seitlich“) Fasern eingeteilt sind. Die AM-Fasern stabilisieren das Kniegelenk primär gegen eine zu starke Verschiebung in Richtung vorderes Schienbein, die PL-Faserbündel dienen hauptsächlich der Rotationsstabilität im Knie.

Vorderes Kreuzband gerissen, die geeignete Diagnostik

Es bieten sich Test und Messungen zur Beurteilung eines Kreuzbandrisses an. Im Prinzip messen die Untersuchungen die Kniestabilität.

Kreuzbandriss Diagnose mit dem passiven vorderen Schubladentest

Vorderes Kreuzband gerissen - die Schublade
Vorderes Kreuzband gerissen – Den Schubladentest selber durchgeführt | Foto: knie-marathon.de

Der Untersuchung mit dem „Schubladentest“ (engl. Drawer Test) erfolgt bei einer 90 Grad Kniebeugung. Die Fußsohle ist flach auf der Untersuchungsliege aufgesetzt und wird durch den Oberschenkel des Untersuchers fixiert. Der Untersucher umfasst das Knie mit beiden Händen, die Zeigefinger liegen in der Kniekehle. Dann zieht der Untersuche den Unterschenkel entweder nach vorne (VKB) oder drückt ihn nach hinten (HKB).

Die Bewertung nennt sich „positiv“ (Anmerkung: obwohl es für den Patienten negativ ist), wenn sich der Unterschenkel gegenüber dem Oberschenkel um 0,5 cm verschieben lässt. Der Schubladentest ist weniger spezifisch als der Lachman-Test und reicht allein nicht aus, um einen Kreuzbandriss korrekt zu diagnostizieren.

Vorderes Kreuzband gerissen: Diagnose mit dem Lachman-Test

Der Test dient ebenfalls der Beurteilung einer isolierten Kreuzbandruptur. Der Lachman-Test ist zusammen mit dem vorderen Schubladentest, eine Untersuchungsmethode, die in der Unfallchirurgie zur Feststellung eines „frischen“ Kreuzbandrisses angewendet wird. Auf die Prüfung mit dem Pivot-Shift Test verzichten die Orthopäden gerne, da diese Prüfung bei akuten Kreuzbandrissen sehr unangenehm für den Patienten ist.

Für die Beurteilung des Lachman-Tests ist die Qualität des Kreuzbandanschlags (fest oder weich) wichtig und die vordere „Schublade“ des verletzten Beines im Vergleich mit dem gesunden Knie. Geprüft wird die vordere „Schubladenbewegung“ des Schienbeinknochens gegenüber dem fixierten Oberschenkel in einer 20–30 Grad Beugung. Das vordere Kreuzband hält den Unterschenkel nicht mehr ausreichend – im Prinzip ein Gurt, der zu spät auslöst.

Bei einem unverletzten Kreuzband lässt sich der Unterschenkel um höchstens 5 mm nach vorne ziehen. Die Schubladenbewegung endet mit einem harten, eindeutigen Anschlag. Ist der Anschlag weich oder fehlt ganz, weist das auf eine Kreuzbandverletzung hin. Die Bewertung ist positiv, wenn sich der Unterschenkel deutlich gegenüber dem Oberschenkel (vorderer Kreuzbandschaden) verschieben lässt und negativ, wenn keine oder nur geringe Verschiebung möglich ist. Ein Vergleich mit der Gegenseite ist immer ratsam, sie sollte aber in jeden Fall bei einer Schubladenbewegung von über 5 mm erfolgen.

Der Lachman-Test ist eine schnelle und bei richtiger Anwendung eine erste orientierende Untersuchung, um die Stabilität des Kniegelenks zu prüfen. Er besitzt bei der vorderen Kreuzbandruptur im Vergleich zum Schubladentest, insbesondere bei frischen Verletzungen eine erhöhte Aussagekraft.

Kreuzband angerissen: Diagnose mit Pivot-Shift-Test

Der Pivot-Shift-Test ist ein weiteres Verfahren, wenn der Verdacht auf ein insuffizienztes vorderes (chronisches) Kreuzband besteht. Der Test hat den Vorteil, dass er zur Beurteilung der Kniegelenkstabilität der posterolateralen Gelenkstrukturen und damit zur weiteren differenzierten OP-Planung beitragen kann. Denn es besteht die Möglichkeit nur Teilbereiche des Kreuzbandes zu ersetzten, wenn die restlichen Fasern intakt sind.

Der Test selber ist eine provozierte Verschiebung des Schienbeins nach innen, wenn das vordere Kreuzband gerissen ist. Hierzu wird in Rückenlage bei gestrecktem Knie und nach innen rotiertem Fuß der Unterschenkel mit einer Hand in Richtung Knie gedrückt und gleichzeitig nach innen gedreht. Mit der anderen Hand beugt der Untersucher das Knie zunehmend und drückt es in eine X-Beinstellung („Valgusstress“ für das vordere Kreuzband“).

Ist das Kreuzband verletzt, spürt der Untersucher bei einer Beugung von 20 bis 40 Grad ein ruckartiges Zurückspringen des zuvor nach ventral subluxierten Schienbeinkopfs. Dieses „Schnappen“ im Knie ist für den Patienten im chronischen Stadium weniger unangenehm.

Knie instabil: Seitendifferenz Messung

Das Ausmaß der Instabilität lässt sich auch durch eine instrumentelle Messung im Seitenvergleich quantifizieren. Eine Seitendifferenz bei der KT-1000/2000-Messung von 5 mm gilt als zufriedenstellend und eine Seitendifferenz von 3 mm ist im Bereich der Norm. Die Messung ist erst nach Abklingen der Knieschwellung vorzunehmen. Zudem ist diese Messung mehrmals zu wiederholen (auch Gegenseite); der höchste Wert zählt.

Differenzialdiagnostik bei Teilrupturen des Kreuzbandes

Besteht der Verdacht auf eine Teilruptur oder ein elongiertes Kreuzband, sollten die zur Verfügung stehenden Kreuzband-Tests in ihrer Kombination betrachtet werden:

Patienten mit AM-Faser-Rupturen demonstrieren einen positiven vorderen Schubladentest und eine anteriore Verschiebung beim Lachman-Test. Es besteht eine mittelgradige Seitendifferenz in der KT-1000-Messung von 2 bis 4 mm. Der Pivot-Shift-Test ist eher nur leicht positiv [1].

Patienten, deren PL-Fasern durchtrennt sind, zeigen dagegen eher einen positiven Pivot-Shift-Test, während der vordere Schubladentest sowie der Lachmann-Test negativ oder nur wenig positiv ausfallen. Die KT-1000-Messung zeigt bei dieser Teilruptur oft nur eine geringe Differenz im Seitenvergleich von 1 bis 3 mm [1].

Bildgebende Verfahren in der Kreuzbanddiagnostik

Röntgenaufnahmen des betroffenen Kniegelenks in zwei Ebenen sind im akuten Stadium anzufertigen, um Frakturen und knöcherne Bandausrisse im verletzten Kniegelenk zu erkennen.

Die Magnetresonanztomografie (MRT) dient neben der Absicherung der Verdachtsdiagnose „vorderer Kreuzbandriss“ auch der Erkennung von Begleitverletzungen, unter anderem der Knorpeloberflächen und der Menisken. Die Sensitivität und Spezifität der MRT Aufnahmen für eine Vordere-Kreuzband-Ruptur (VKB) liegen bei über 90 Prozent [2] . Auch hier zählt die Erfahrung des Radiologen, besonders bei Partialrupturen, diese sind schwerer zu diagnostizieren.

Wichtig für den verletzten Patienten bei der Kreuzband Untersuchung

Vorderes Kreuzband gerissen – nur so bekommt der Patient Sicherheit:

  • Ein Kreuzband-Test allein macht noch keine relevante Aussage. Die Testverfahren sind mit unterschiedlich hohen Fehlerquoten belegt. Nur die Kombination aller Messungen erhöht die Sicherheit.
  • In der Akutphase geben die Testverfahren nur eingeschränkt Hinweise. Deshalb unbedingt nachuntersuchen lassen, sobald die Schwellung im Knie zurückgegangen ist.
  • Wiederholung der einzelnen Testverfahren, da insbesondere die Anspannung der Oberschenkelmuskulatur (v.a. durch Schmerzen im Kniegelenk) das Testergebnis verfälscht.
  • Jeder Test ist nur so gut, wie der Untersucher sein „Handwerk“ beherrscht. „Geübte“ Hände und Erfahrung in der Beurteilung sind gefragt.
  • Jeden Knie-Test auch auf der unverletzten Seite durchführen lassen.
  • Bei Unklarheit eine Überweisung für eine MRT-Untersuchung anfordern. Das bildgebende Verfahren dient der Absicherung der Diagnose: Vorderes Kreuzband gerissen. Ein Röntgenbild stellt eine Kreuzbandverletzung nicht dar.
  • Die wenigsten Kreuzbandrisse sind Notfälle. Patienten sollten sich eine zweite Meinung einholen und abwarten. Keine Panik oder die Angst etwas zu verpassen. Dieser kleine Umweg ist ein guter Start auf dem Weg zur neuen Kreuzbandplastik.
  • Mehr Informationen zur Kreuzbandriss OP – Ja oder nein? Bietet der Artikel Kreuzbandriss OP – Keine Knieprobleme trotzdem operieren“.

Quelle:
[1] Borbon CA, Mouzopoulos G, Siebold R (2012) Why perform an ACL augmentation? Knee Surg. Sports Traumatol Arthrosc 20(2): 245–251.
[2] Wörtler K. (2007) MRT des Kniegelenks. Radiologe 2007 47:1131–1146

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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