Oft berichten Medien von Hochleistungssportlern, die nach einer schweren Knieverletzung schneller Fortschritte machen, als Trainer und Coachs dies erwarten. Was steckt dahinter? Welche Fähigkeiten besitzen diese Sportler? Dieser Artikel geht dem Phänomen auf den Grund, weshalb es Menschen gibt, die produktiver mit Knieverletzungen umgehen als andere.
Die Einstellung zur Gesundheit entscheidet
Was genau damit gemeint ist, möchte ich an zwei Modellen der Gesundheitspsychologie verdeutlichen: Pathogenese- vs. Salutogenese Modell.
Das Pathogenese-Modell wird auch das medizinische Modell der Krankheitsentstehung genannt. Es geht davon aus, dass ein innerer oder äußerer schädlicher Einfluss auf den Körper trifft und dort eine Krankheit auslöst. Der Arzt konzentriert sich auf die Krankheitsursache, beseitigt diese und der Patient gilt als gesund. Scheitert die Behebung der Krankheitsursache ist der Patient krank. Die Bewältigung der Situation ist Angelegenheit des behandelnden Mediziners.
Nach dem Salutogenese-Modell ist Gesundheit nicht als Zustand, sondern als Prozess zu verstehen. In diesem Modell bilden Gesundheit und Krankheit einen fließenden Übergang auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Wie sich ein Mensch unter dem Einfluss von Stressoren auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum bewegt, ob es also eher krank oder eher gesund ist, wird hauptsächlich durch zwei psychologische Faktoren (Kohärenzsinn und Resilienz) bestimmt. Der Vorteil dieses Gesundheitsmodells liegt darin, dass der Patient eine entscheidende Rolle zugewiesen bekommt. Er ist in diesem Modell handlungsfähig und in seinem Wohlbefinden nicht ausschließlich auf die medizinischen Fähigkeiten des Arztes reduziert. Beeindruckend an diesem Modell ist die Fragestellung – sie lautet nicht: Was macht den Menschen krank, sondern: Was macht beziehungsweise hält ihn gesund? Solche Gesundheitsfaktoren, die den Menschen vor Krankheit schützen, sind Kohärenz und Resilienz (Widerstandsressourcen oder Widerstandsquellen).
Jede Maßnahme zur Erhaltung und Förderung von Gesundheit muss zum Ziel haben, das Kohärenzgefühl sowie die Resilienz zu unterstützen.
Der Sinn treibt an nach Knieverletzungen
Auffällig ist, dass Menschen die gut mit Knieverletzungen umgehen, besondere Fähigkeiten besitzen. Diese Fähigkeiten helfen ihnen, in schwierigen Lagen mentale Stärke zu zeigen. Die Menschen schaffen es, in der Verletzungsphase einen Sinn zu sehen, der sie antreibt.
Gute Erfahrungen aus früheren vergleichbaren Situationen und deren positive Bewältigung unterstützen dabei. Ich gehöre zu dieser Gruppe. Nicht selten, bekomme ich von meinem Bloglesern die Frage gestellt, wie ich die vielen Knieoperationen und die Rehabilitationsphase überhaupt durchstehe?
Im Laufe der Jahre habe ich ein ausgeprägtes Vertrauen in die eigene Stärke und Willenskraft entwickelt. Die Psychologie spricht in die Zusammenhang von „Resilienz“. Damit ist nichts anders gemeint als, eine erlernte Stärke sich trotz widriger Umstände nicht unterkriegen zu lassen und unter Umständen auch Widerstand leisten zu können. „Bleibe ganz ruhig, du hast schon Schwierigeres geschafft“! „Auch diese Knieoperation geht vorüber, danach sind die Karten neu gemischt!“ Unterstützt werden diese positiven Gedanken durch ein funktionierendes soziales Umfeld. Bezugspersonen, Freude und Hobby (außerhalb des Sports) geben Sicherheit und Rückhalt.
Resilienz sind damit Ressourcen, mit denen Menschen Problemen, Spannungen und Stresssituationen begegnen (z. B. soziale Strukturen, Schutz gegen Umwelteinflüsse, ausgewogene Ernährung). Diese Ressourcen werden individuell und kulturell unterschiedlich im Kindes- und Jugendalter erworben.
Nach Knieverletzungen versetzt der Glaube Berge
Ein zweiter Punkt bei der Frage, weshalb manche Menschen trotz schwieriger Umstände, ihre Gesundheit schneller fördern können, heißt „Kohärenz“. Dieser Sinn bezeichnet die Art und Wiese, wie sich jemand in der Welt orientiert und damit auch eine bestimmte Lebenseinstellung:
- Der Verstehbarkeit (Fähigkeit die Situation auf ihre Ursachen zu analysieren, Lebensereignisse haben eine Struktur)
- Der Machbarkeit (Wissen um die eigenen Ressourcen, Aufgaben lassen sich bewältigen)
- Der Sinnhaftigkeit (Aufgaben im Leben haben einen Sinn und sind es wert „angepackt“ zu werden – auch gegen alle Widerstände).
Mein Kohärenzsinn zeigt sich besonders in kritischen Lebensereignissen. Bis heute glaube ich daran, dass meine Schwierigkeiten mit dem Knie lösbar sind. Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass einen nachvollziehbaren Grund dafür gibt, weshalb ich in den letzten Jahren so viele Operationen durchstehen musste. Dieser innere Prozess dauert an und wird vermutlich auch nicht abgeschlossen werden. Ausgangspunkt war für mich, die Erkenntnis, dass ich „knietechnisch“ aber auch in meinem inneren Erleben nicht mehr die „Alte“ werden würde. Dieser Zug ist „abgefahren“. Ja, dem trauere ich manchmal noch hinterher. Gleichzeitig sehe ich bis heute meine Knieprobleme (und was damit noch verbunden ist) als eine Herausforderung, die viel Investitionen und Engagement verdienen – es wächst etwas Neues heran.
Der nächste Artikel beschreibt, wie sich diese psychologischen Faktoren auf den Reha-Alltag auswirken.