Healing Response am Kreuzband: Chance zur Selbstheilung

By Katrin Glunk

April 4, 2021


Healing Response nach Kreuzbandverletzungen ist eine „biologische“ (ohne Fremdmaterial) Methode zur Selbstheilung einer vorderen oder hinteren Kreuzbandruptur. Das Prinzip der Healing Response-OP beruht darauf, dass der Kniechirurg dem Kreuzband mit kleinen „Stichen“ auf die Sprünge hilft – Eine Art „Auffrischung“ des verletzten vorderen oder hinteren Kreuzbandes.

Natürliche Heilung nach Kreuzbandverletzung

Es gibt Strukturen im Kniegelenk, deren Selbstheilung durch ihre begrenzte Versorgung mit Blut limitiert ist. Dazu gehört im Kniegelenk der Knorpel, große Teile der Menisken und auch das vordere sowie hintere Kreuzband (VKB und HKB).

Ziel einer Healing Response OP nach Kreuzbandverletzungen ist es, die begrenzten Selbstheilungskräfte des verletzten Kreuzbandes zu aktivieren. Dabei bedient sich das Healing Response Verfahren ähnlichen Prinzipien, wie bei der häufig angewendeten Mikrofrakturierung von Knorpelschäden.

Vereinfacht ausgedrückt setzt der Kniechirurg bei einer Healing Response Operation am Kreuzband einen natürlichen Heilungsprozess in Gang. Diese biologische Selbstregeneration führt dazu, dass das vordere oder hintere Kreuzband wieder an seiner ursprünglichen und damit anatomisch korrekten Stelle anwächst.

Healing Response Technik und Funktion

Das Healing Response nach einer Kreuzbandverletzung wird mittels einer arthroskopischen Gelenkspiegelung operiert. Zeigt sich bei der intraoperativen Bestandsaufnahme, dass noch genügend Restfasern des vorderen oder hinteren Kreuzbandes erhalten sind (Teilabriss oder Teilruptur), besteht die Möglichkeit, mittels der Healing Response Technik, eine narbige Stabilisierung des Kreuzbandes anzuregen.

Dabei führt der Operateur über spezielle Bohrtechniken eine Blutung an mehreren Stellen am Kreuzbandstumpf (manchmal auch an der Kreuzband-Notch und Kreuzband) herbei. Durch die kleinen Aufbohrungen treten undifferenzierte Stammzellen aus dem Knochenmark aus. Diese können sich bei entsprechender mechanischer Beanspruchung – zu Sehnenzellen (Tendinozyten bzw. Flügelzellen) ausdifferenzieren und das (teil-)ruptiete Kreuzband vernarben. Eine aufwendige Kreuzbandersatz-Operation kann so im Einzelfall bei postoperativ guter Kniestabilität vermieden werden.

Die Literatur beschreibt unterschiedliche Healing Response Techniken (Anzahl und Ort der Auffrischungen) – das dahinterstehende Heilungsprinzip bleibt aber dasselbe.

Soft Healing vs. „Golden Standard-OP“ am Kreuzband

Die Healing Response Methode geht auf den amerikanischen Kniespezialisten Richard Steadman aus Vail in Colorado zurück [1]. In den 90er-Jahren hat er als Erster daran geglaubt, dass das schlecht durchblutete vordere Kreuzband wieder zusammenwachsen kann. Seine erste Studie (2002) zur Versorgung mit einem Healing Response ergab eine Erfolgsquote von 85 % bei frisch gerissenen (ruptierten) Kreuzbändern [2].

2-Jahres Studienergebnisse von Steadman et. al

Voraussetzung der Kreuzband-Patienten:

  • Femoraler Abriss des vorderen Kreuzbandes plus Kreuzband im Verlauf intakt

Operationszeitpunkt für ein Healing am Kreuzband:

  • Innerhalb der ersten 10 Tage nach dem Trauma.

Operatives Vorgehen bei Healing Response:

  • Kniegelenkspiegelung (Kniearthroskopie)
  • 6-8 Kortikalisperforationen (Durchbohrung/Durchstoßung) im femoralen Ansatzbereich des vorderen Kreuzbandes
  • Zusätzlich Needelung (Stichelung) am vorderen Kreuzband
  • Reposition des vorderen Kreuzbandes unter Streckung des Kniegelenks.

Keine Einigkeit beim Einsatz von Healing Response Verfahren

Seit Jahren diskutiert die Fachwelt kontrovers, ob das vordere Kreuzband nach einem akuten Riss (proximale Ruputur) bzw. Teilriss und der Versorgung mit einem Healing Response wieder an ihrem Ursprung stabil einwächst und vernarbt. Eines der Hauptkritikpunkte stellt, die durch das Healing Response entstandene Narbe am Kreuzbandstumpf dar. Diese Narbe könnte eine Art „Sollbruchstelle“ für eine Reruptur des Kreuzbandes darstellen. Nur wenige deutsche Kliniken bieten diese strukturerhaltende Operationen bei vorderen oder hinteren Kreuzbändern an. Nachfragen lohnt sich dennoch!

Voraussetzung für die Healing Response OP

Healing Response OP Technik
Healing Response OP Technik | Foto: knie-marathon.de

Die Voraussetzungen für eine Auffrischung des Kreuzbandes variieren in Abhängigkeit des Operateurs und seiner OP-Technik:

  • Relativ frische Kreuzbandverletzung (nicht älter als 3 bis 6 Wochen)
  • Am besten keine komplette Kreuzbandruptur, sondern nur vordere Teilruptur (teilweise mit erhaltenem Synovialschlauch).
  • Geeignet für junge Patienten (<25 Jahre).

Diese genannten Restriktionen treffen, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, nicht auf jeden Healing Response Operateur zu. Es gibt Kniespezialisten, die weit zurückliegende Kreuzbandverletzungen (> 1 Jahr) und auch bei älteren Menschen durchführen. Die neueren Studien von Steadman et al. zeigen, dass ein Healing Response, ebenso für ältere Patienten eine Möglichkeit zur Kreuzband Behandlung darstellt [2].

Vorteile bei der Healing Response Therapie

Die Healing Response Operation kommt in Deutschland verhältnismäßig wenig zur Anwendung. Das verwundert mich als Patient. Ein erfolgreiches Healing am Kreuzband hat folgende Vorteile:

  1. Ein großer Vorteil der Healing Response Technik, die Entnahme einer Sehne als Bandersatz entfällt und damit alle möglichen Funktionseinbußen, Koordinationsprobleme, Kraftverluste und Schmerzen an der Entnahmestelle und des betroffenen Muskels.
  2. Die entnommene Sehne, die bei einer klassischen Kreuzbandersatz-OP als neues Band dient, ist zwar stabil, jedoch längst nicht so elastisch wie das ursprüngliche Kreuzband. Das führt dazu, dass Patienten nach der Kreuzbandersatzplastik mühsam die Kniestreckung und Beugung üben müssen. Nicht selten, bleibt ein monatelanges Streckdefizit im Kniegelenk zurück.
  3. Die Healing Response Methode verspricht, die anatomisch richtige Positionierung des vorderen Kreuzbandes. Das Kreuzband bleibt dort verankert, wo es ursprünglich mit dem Knochen komplett verwachsen war. Die Fehlpositionierung des vorderen Kreuzbandes mittels fehlplatzierter Bohrkanäle entfällt – damit auch eine mögliche Verletzung der Knorpelschicht durch Absplitterungen und Bewegungsdefizite.
  4. Die Healing Response OP ist eine Operationstechnik, die ohne Verwendung von Fremdimplantaten (Fixationsmaterial) auskommt. Damit schließt der Patient eventuelle Unverträglichkeiten mit dem Fremdmaterial (egal, ob Bioschrauben oder Titanschrauben) von vorneherein aus. Ein Überstehen der Schrauben wird ebenso ausgeschlossen.
  5. Bei Revisionsoperationen am vorderen Kreuzband oder einem erneuten Trauma sind keine Fremdimplantate bzw. Schrauben im Knochen vorhanden, die zunächst operativ entfernt werden müssten. Dieses einzeitige Vorgehen erspart dem Patienten in der Regel eine zusätzliche Knieoperation – da die Spongioplastik am Beckenkamm mit einer Auffüllung der Bohrkanäle entfällt.
  6. Die postoperativen Schmerzen sind geringer (da keine Sehnenentnahme) und die Rehabilitationszeit ist aufgrund der nicht vorhandenen Koordinationsdefizite kürzer.
  7. Schöneres kosmetisches Ergebnis, da die Narbe der Sehnenentnahmestelle entfällt.
  8. Das mit einem Healing Response operierte Kreuzband ruft kaum Störungen der Tiefensensibilität (auch propriozeptive Wahrnehmung) hervor, weil die Nervenstrukturen des Original-Kreuzbandes und seiner Restfasern weitgehend erhalten bleiben.
  9. Die Erfolgsquote beträgt in Abhängigkeit der Studie durchschnittlich etwa 80 bis 85 %. Das bedeutet im Schnitt können drei von vier Patienten ihr eigenes Kreuzband nach einem Healing Response behalten [4]. Im Vergleich zur Komplikationsrate nach einer klassischen Kreuzband-OP schneidet die Healing Response Methode nicht viel schlechter ab.
  10. Die Rückkehr zum ursprünglichen Aktivitätsniveau nach einer Healing Response OP beträgt ungefähr 70 %. Patienten mit VKB-Plastiken erreichen je nach Studienlage ähnliche Zahlen.
  11. Die Knie-OP-Zeit ist kürzer. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit für Muskelschädigungen aufgrund längerer Unterbrechung der Sauerstoffversorgung mittels angelegter Blutsperre. Ganz nebenbei sinkt bei kürzerer Operationszeit auch das Risiko für Knieinfektionen.
  12. Das Healing Response Verfahren ist kostengünstiger als eine „normale“ Kreuzband-OP. Im Umkehrschluss bedeutet eine Healing Response OP damit weniger Verdienst.

Der Artikel Kreuzbandplastik vs. Healing Operation zeigt auf, wann eine Healing Response infrage kommt. Wichtig, diese Kreuzband-OP Methode funktioniert auch bei einem komplett gerissenen Kreuzband nahe des femoralen Ansatzes.

Nach drei Kreuzbandoperationen – Ärzte ratlos

Meine ersten zwei Kreuzbandoperationen waren klassische Kreuzbandersatzoperationen mit der Entnahme einer Sehne:

  1. Eigene Kniebeugesehne (Semitendinosussehne) (Autograft, 2009)
  2. Eigene Kniebeugesehne der Gegenseite (Autograft, 2011)
  3. Fremde Patellarsehne als Spendersehe (Allograft, 2013).

Der Versuch, mein Kniegelenk zu stabilisieren, schlug insgesamt dreimal fehl. Die Ursachen jedes Mal unklar – bei jeweils unterschiedlichen Operateuren. Der postoperative Verlauf war dabei immer ähnlich: Bis etwa sechs Monate post OP hatte ich ein einigermaßen stabiles Kniegelenk. Dann kam das typische Giving-away Symptom zurück; nach einem Jahr war das wieder Knie instabil. Die Kreuzbandplastik insuffizient – ohne erneutes Trauma. Mediziner sprechen in diesem Fall von einem elongierten Kreuzband (Kreuzbandelongation). Das heißt, die Kreuzbandplastik ist nicht gerissen, sondern ausgeleiert.

Meine Healing Response Erfahrung

Die Möglichkeit ein Healing Response OP durchzuführen, kam bei meinen ersten drei Kreuzbandriss-OPs nie zur Sprache. Weshalb? Vielleicht, weil es sich nie um frische Kreuzband-Rerupturen handelte oder die Operateure andere Ziele verfolgten. Umso erstaunter war ich, als ich nach dem dritten Fehlversuch auf einen Kniechirurgen traf, der mir ein Healing am Kreuzband vorschlug. Die einzige Voraussetzung, die jetzige Kreuzbandplastik ist in ihrer Struktur durchgängig und kräftig.

Ich war zunächst skeptisch, schließlich wirkte die dritte Kreuzbandersatzplastik auf den MRT Aufnahmen sehr dünn. Laut Radiologen „[…] die VKB-Plastik ist nicht durchgängig erkennbar.“

Trotzdem stimmte ich einer Healing Response OP im Voraus zu. Wichtig war mir dabei vor allem, dass es kein zweitzeitiges Vorgehen wird und keine Schrauben eingesetzt werden. Alternativ, wäre eine Kreuzbandplastik mit der All-press-fit-Technik infrage gekommen.

Meine Voraussetzungen für ein Healing Response OP weichen damit von den genannten Restriktionen für einen Kreuzbandriss Healing deutlich ab:

  1. Mein Kreuzbandersatzplastik ist zu dem Zeitpunkt bereits 13 Monate alt.
  2. Ich falle mit Sicherheit nicht mehr in die Rubrik „jung“.
  3. Ein Healing Response bei einer Spendersehe ist bisher in der Literatur nicht beschrieben.
  4. Ich bin 13-mal an diesem Knie voroperiert.

In der Knieoperation selbst, kam noch eine Komplikation hinzu, die weder meinem Operateur noch mir, vorher bekannt waren. Auch die bildgebenden Verfahren (Röntgen, MRT) lieferten keine Hinweise auf diese schwere Komplikation. Es wurde bei der Healing Response Operation ein großflächiger Knochendefekt, teilweise schon mit abgestorbenen Knochenmaterialen (Knochennekrose), im Schienbeinkopf und Oberschenkel festgestellt.

Letztlich hätte nur eine Knochendichtemessung, die massive Osteoporose (Knochenschwund) angezeigt. Diese Diagnostik Methode wurde bei mir sogar vor der Kreuzbandriss-OP durchgeführt. Doch leider waren die Ergebnisse nicht verwertbar, da die Metallschrauben aus den vorherigen Kreuzbandoperationen, das Ergebnis massiv „verfälschten“. Ein weiterer Vorteil bei einem Healing Response – hinterher gibt es keine Artefakte im MRT und auch keine verzerrten Ergebnisse in der Knochendichtemessung.

Quelle:
[1] Steadman JR, Cameron-Donaldson ML, Briggs KK et al. Healing-response treatment for ACL injuries. Orthop Technol Rev 2002; 3: 3
[2] Steadman JR, Matheny LM, Briggs KK, Rodkey WG, Carreira DS. Outcomes following healing response in older, active patients: a primary anterior cruciate ligament repair technique. J Knee Surg. 2012 Jul;25(3):255-60.
[3] Steadmann JR, Commeron-Donadson ML, Briggs KK et al. A minimally invasive technique („healing rsponse“) to treat proximal ACL injuries in skeletally immature atheletes. J Knee Surg 2006: 19 8-13
[4] Jorjani J, Altmann D, Auen R, Koopmann C, Lyutenski B, Wirtz D.C. Mittels- bis langfristige Ergebnisse nach vorderer Kreuzbandruptur und Versorgung in Healing-Response-Technik. Orthop Unfall 2013; 151: 570-579

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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