Kühlen nach einer Knie-OP: Weshalb das Knie langsamer heilt?

By Katrin Glunk

September 13, 2016


Die sogenannte PECH-Regel* galt seit Jahrzehnten als Standardtherapie bei der Behandlung von Sport- und Knieverletzungen [1]. Nun propagiert der Autor der berühmten PECH-Regel einen Paradigmenwechsel: „Ich habe mich geirrt!. Anhaltende Kälteanwendungen nach Sportverletzungen verzögern die Heilung, anstatt sie zu fördern.“ (2014). Weshalb sich der (Irr-)Glaube so lange in der Sportmedizin gehalten hat, beleuchtet dieser Beitrag.

Was ist (war) die berühmte PECH-Regel?

Bei akuten Knieverletzungen wurde in der Vergangenheit zur Einhaltung der PECH-Regel* geraten. Lange Zeit waren diese Interventionen der Garant dafür, die Auswirkungen eines Unfalles oder einer Sportverletzung für den Betroffenen möglichst gering zu halten. Die PECH-Regel (1978 engl. RICE) ist eine leicht zu merkende Grundregel bei Sportverletzungen und besteht aus folgenden Maßnahmen:

  • P = Pause
  • E = Eis
  • C = Compression
  • H= Hochlagern

Entzündung ist eine Reaktion als Angriff von außen

Um zu verstehen, weshalb der Paradigmenwechsel  notwendig erscheint und welche Konsequenzen dabei für die sportmedizinische Praxis entstehen, muss ich an dieser Stelle weiter ausholen:

  1. Jede, auch noch so kleine Verletzung, führt im Knie zu einer Entzündungsreaktion.
  2. Jede Entzündung im Knie ist zunächst ein Schutzsignal (nicht Warnsignal). Der Körper vermittelt, dass er jetzt Ruhe benötigt, um die notwendigen Reparaturmechanismen in Gang zu setzen.
  3. Jede Entzündung im Kniegelenk stellt die entscheidende Voraussetzung für die Heilung nach der Knieoperation dar.
  4. Jede Kniegelenksentzündung hat nur ein Ziel: Die Heilung und bestmögliche Wiederherstellung von zerstörtem Gewebe.

Wie entstehen Entzündungen im Kniegelenk?

Die Medizin unterscheidet zwischen akuten und chronischen Entzündungen. Diese Entzündungsreaktionen unterliegen im Kniegelenk verschiedene Ursachen:

  • Unfallbedingte Knieverletzungen (sogenannte Traumata)
  • Entzündungen nach Knieoperationen (Kreuzbandriss, Meniskusriss, Innenband, Außenband etc.)
  • Chronisch entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankungen (Bursitis, Rheuma etc.)
  • Verschleißerscheinungen (Gonarthrose)
  • Infektionen mit Bakterien*.

*Bakterielle Infektionen im Kniegelenk gehören sofort in eine ärztliche Behandlung.

Dieser Beitrag fokussiert sich thematisch auf die Anwendung von Kältetherapie als Standardmaßnahme nach Sportverletzungen und Knieoperationen.

Außerdem möchte ich erwähnen, dass der kleinste Teil des Schadens nach einer Knieverletzung an der Hautoberfläche zu sehen ist. Die wahre Zerstörung nach einem Unfall oder einer Knie-OP findet im inneren des Kniegelenks statt. Die Wunden auf der Hautoberfläche sind gar nichts im Vergleich zu dem, was im Kniegelenk selbst zerstört wurde.

Wenn ich im Folgenden von Entzündungen und Reparaturmechanismen spreche, dann meine ich sämtliche Verletzungen am:

  • Bindegewebe, Knochen-, Muskelgewebe (Faszien),
  • Knorpel, Sehen, Bänder
  • Blutgefäße, Nerven usw.

Wie äußert sich eine Entzündung im Knie?

Symptome einer Kniegelenksentzündung sind:

  • Erwärmung oder Überwärmung („Hitze im Knie“)
  • Schwellung („dickes Knie“)
  • Flüssigkeit im Kniegelenk („Wasser im Knie“)
  • Schmerzen mit ggf. Rötung der Haut
  • Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk.

Was passiert bei Entzündungen im Inneren des Kniegelenks?

Jede Entzündung im menschlichen Körper ist ein dynamischer Prozess. Die unterschiedlichen Entzündungsreaktion werden in mindestens drei Phasen unterteilt. Für das Verständnis der „veralteten“ PECH-Regel skizziere ich die folgenden Phasen der Wundheilung stark vereinfacht:

Phase 1: Die Entzündung

Blutstillung, Gefäßkontraktion, Freisetzung von Zytokinen, verstärkte Einwanderung von Blutkörperchen.

Phase 2: Die  Proliferation

Aktivierung von Fibroblasten, Bildung und Ersatz von Bindegewebe, Kollagenbildung.

Phase 3: Das Remodeling

Gleichgewicht von Kollagenauf- und abbau, Aufbau und Verfestigung einen strukturierten Gewebes.

Entzündung und Kühlen nach einer Knieoperation
Zusammenhang von der Entzündung bis zur Wundheilung – das Kühlen nach einer Knie-OP verzögert den Phasenablauf | Foto: knie-marathon.de

Operierte oder verletzte Kniegelenke unterliegen in ihrem Heilungsverlauf den gleichen Phasen- bzw. Gesetzmäßigkeiten (siehe Abbildung). Die Dauer der Heilungsverläufe (Zeit) variieren jedoch in Abhängigkeit der Knieverletzung.

Ein Heilungsverlauf nach einer Kreuzband-OP sieht beispielsweise folgendermaßen aus, damit ist gemeint, der Prozess von der entnommenen Sehne zum Kreuzbandersatz:

  1. Entzündungsphase (etwa 0.-7. Tag)
  2. Proliferationsphase (etwa 7. Tag bis 6. Woche):
  3. Umbauphasephase oder Remodeling (ab etwa 6. Woche bis ein Jahr)

Näheres zum Umbauprozess hier: Der Umbau einer Kreuzbandersatzplastik („tote Sehne“) in ein funktionierendes Kreuzband.

Was passiert bei Entzündung auf zellulärer Ebene?

Entzündungszellen sind Zellen des menschlichen Abwehrsystems (= Immunsystems).

Als Entzündungszellen oder Immunzellen bezeichnet die Medizin sämtliche Körperzellen, die vermehrt im Rahmen von Immunreaktionen (also Entzündungen) auftreten. Zu den sogenannten zellulären Immunsystem gehören: Makrophagen (Fresszellen), Mastzellen, Granulozyten, Epitheloidzellen, Lymphozyten, NK-Zellen und Plasmazellen. Auch die Fibroblasten, die als Steuerungszellen der Reparaturprozesse gelten, gehören zu den Immunzellen.

Sobald im Körper Muskel- oder Gewebezellen zerstört sind, sendet das Immunsystem vermehrt eine Ganze Armee von Entzündungszellen (Makrophagen) in die betroffene Körperregion. Die Makrophagen schütten den Wachstumsfaktor IGF-1 aus, welche sich als Mediator unter Beweis stellen. Der Körper setzt damit den ersten und entscheidenden Schritt der Heilung in Gang. Frei nach dem Motto: Jetzt wird aufgeräumt, die kaputten Zellen abtransportiert und neu gebildet.

Weshalb ist eine Entzündung im Knie wichtig?

Per Definition ist eine Entzündung im Kniegelenk eigentlich keine Erkrankung, sondern die Antwort des Körpers auf eine Schädigung von außen. Mit der Immunreaktion versucht der Körper die Ursache, egal welcher Art, auszuschalten und die vorhandenen massiven Schäden zu reparieren.

Die Entzündung ist demnach ein Teil des Heilungsprozesses und keine Schädigung des Körpers, die es zu bekämpfen gilt. Wer es schafft, diesen „Schalter im Kopf“ umzulegen, der nervt sich weniger mehr über sein „dickes“ Knie.

Lediglich, wenn die Entzündungsvorgänge, verursacht beispielsweise durch MRSA-Bakterien aus dem Ruder laufen, müssen Kniechirurgen eingreifen, da die Gefahr besteht, dass sie im Extremfall den ganzen Körper überschwemmen und damit lebensgefährlich für den Betroffenen sind.

Wirklich das Knie kühlen nach einer Knie-OP?

7 Gründe, weshalb die Kühlung des Kniegelenks nach Operationen die Heilung verzögert:

  1. Die Entzündung im Kniegelenk ist der erste physiologische Schritt auf dem Weg zur Reparatur und dem sich anschließenden Umbau des Gewebes. Doch Eis bzw. Kälte verhindert, dass die wichtigen Entzündungszellen das verletzte Gewebe erreichen, weil Kälte die Blutgefäße automatisch verengt. Die verlangsamte Durchblutung hält Stunden über das Absetzen der Kühlung an [3].
  2. Akute Wunden weisen einen sehr hohen Wert an IGF-1 (insulinähnlicher Wachstumsfaktor) im Wundwasser auf. Sie werden von den körpereigenen Fresszellen (Makrophagen) ausgeschüttet. Die IGF-1 Zellen wirken hauptsächlich bei Wachstum und Differenzierung von Zellen mit. IGF-1 dient bei der Wundheilung als Hauptmediator und ist damit ein Stimulator für das Zellwachstum (Profileration) und hemmt gleichzeitig den Zelltod (Abbau). Käte in Form von Eis hemmt die Freisetzung von IGF-1 und damit die Ausdifferenzierung von neuen Körperzellen [4].
  3. Schon immer befürworten die traditionelle chinesische Medizin und die Akupunktur die Stimulation von entzündlichen Reaktionen (pro-inflammatorische Prozesse). Eis wirkt anti-inflammtorisch.
  4. Die Abbauprodukte der Entzündungsprozesse müssen aus den verletzten Bereichen abtransportiert werden, diese Aufgabe übernimmt das lymphatische System. Die Schwellung im Knie ist ein Anzeichen für bereitstehende Abbauprodukte. Kälte hingegen verlangsamt diesen Abtransport des lymphatischen Abfluss. Deshalb sollen Patienten auch nach der Lymphdrainage mindestens eine Stunde nicht kühlen. Muskelkontraktion und Kompressionsstrümpfe fördern hingegen die Arbeit des Lymphsystems [5].
  5. In der Publikationen von der „National Association Athletic“ (2013) in Bezug auf das Management von Verstauchungen fanden Wissenschaftler heraus, dass die Eis-Therapien eine Evidenzniveau von C hatten, und damit nur wenig oder schlechte Beweise für deren Wirkung vorliegen [6]. Lapidar ausgedrückt, die Empfehlungen für Eisanwendungen basierten auf methodisch schlecht gemachten Studien.
  6. Die bildgebende Diagnostik von chronischen Sehnenverletzungen (Achillessehne, Springer- und Läuferknie sowie Fersensporn) zeigen nach einer Kältetherapie eine ungünstigere Kollagen Anordnung des Bindegewebes. Eis verhindert die korrekte Kollagen Ausrichtung.
  7. Zudem behindert anhaltende Kälte die zelluläre Signalübertragung und die Entwicklung von neuen Zellen. Eis verlangsamt auch, die Schnelligkeit der Nervenübertragung und behindert die Kraft sowie Schnelligkeit und Koordination der Muskeln nach einer lokalen Kälteanwendung [7].

Ein interessantes Video: „Peoples, We’ve Got to Stop Icing… A Year Later!“. Kelly Starrett (Autor des Buches: „Werde ein geschmeidiger Leopard„, (2016)) bespricht mit Gary Reinl, weshalb Betroffene mit dem sogenannten “Icing” nach Sportverletzungen aufhören sollten.

Wozu noch kühlen nach einer Knie-OP oder Knieverletzungen?

Nahezu jeder Kälteeinfluss von außen verlangsamt im Körper die Prozesse. Dadurch tritt aus den verengten Blutgefäßen auch weniger Flüssigkeit ins das Kniegewebe über, und die akuten Schmerzen werden als geringer empfunden, weil sich gleichzeitig das Nervensystem „heruntergekühlt“. Dieser Effekt lässt Kälte als Therapie zur reinen Schmerzreduktion in akuten Situationen sinnvoll erscheinen – leider werden auch die nützlichen Heilungsprozesse beeinflusst – das ist der Preis!

Der klare Vorteil einer Kühlpackung nach Knieoperationen liegt also darin, dass es unbeschreiblich gut tut, die Kühle auf dem heißem Knie zu spüren. Leider wirken die Kühlpackungen zur Schmerzreduktion nur etwa 20 bis 30 Minuten.

Weitere beeinflussende Faktoren auf die Wundheilung

  • allgemeiner Zustand der Durchblutungsgefäße
  • aktive Bewegung (in Maßen!)
  • Kompression
  • Infektionen (Wunde, Immunsystem, Erkältung)
  • Alter (Aufnahme von Nahrungsbestandteilen nimmt ab)
  • Nahrungsergänzung (Vitamin A, C, E, Mineralien und Spurenelemente)
  • Flüssigkeitsaufnahme
  • auch die Schmerzmedikamente der Wirkstoffklasse nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) unterdrücken die Entzündung
  • Alkohol und Nikotin
  • psychische Belastung

Überhaupt eine Entzündung kühlen und falls ja, wie lange das Knie kühlen?

  • Grundregel, so wenig kühlen, wie möglich.
  • Kühlprodukte mit Bedacht einsetzen.
  • Erzeuge ein produktives Bild in deinem Kopf und bewerte die Entzündung und Schwellung in deinem Kniegelenk als ein positives Ereignis. Beispielsweise so: „Mein Körper repariert gerade auf Maximaltemperatur. Toll – es geht vorwärts!“
  • Inmitten der Debatte, ob Knie kühlen ja oder nein?, lässt leicht vergessen, dass vor allem moderate Bewegung die Abschwellung im Knie fördert. Die Muskelkompression sorgt bei diesen Übungen für den Abtransport.

Wie kühle ich mein Knie nach einer Kreuzband- oder Meniskus OP richtig?

  • Wenn die Kühlung unbedingt sein muss, dann die richtige Kühltaktik einsetzen: Maximal 10 Minuten das Knie kühlen, danach mindestens drei bis vier Stunden pausieren.
  • Niemals direkt auf der Haut mit Eis/ Eiswürfel kühlen. Cold-Packs/ Kältepackungen immer in einer Hülle oder Handtuch packen.
  • Akute Verletzungen nach Unfällen ebenfalls nicht länger als 10 Minuten kühlen, dann 20 Minuten pausieren und wieder 10 Minuten kühlen. Das Ganze maximal ein- bis zweimal wiederholen. Es gibt keinen Grund den Körper, beispielsweise nach einer Muskelverletzung, mehr als sechs Stunden nach dem Ereignis bei seiner Arbeit zu unterbrechen.
  • Am Schluss möchte ich noch anmerken, dass es stark entzündete Kniegelenke nach Sportverletzungen oder Operationen gibt. Diese Gelenke sind so stark geschwollen, dass der Körper zu lange benötigen würde, um die ganzen Abbauprodukte (in Form von Flüssigkeit im Knie) zu beseitigen. In diesem Fall bringt eine Kniepunktion die Erleichterung, denn der schnelle Abfluss von Gelenkflüssigkeit schafft Spielraum für Bewegung im Gelenk und reduziert die Knieschmerzen.

Lese mehr über Möglichkeiten, weshalb deine Knie Reha nicht optimal läuft. In aller Regel ist der häufigste Grund eine zu wenig intensive Reha. Hier erfährst du, wie du deine Trainingsleistung zu Hause optimierst.

Quelle:
1. Mirkin, G. The Sports Medicine Book Paperback. In: Hoffman, M. (Hrsg.) , Mirkin G. (Hrsg.), 1978, S. 94.
2. Bleakley C, McDonough S, MacAuley D. The use of ice in the treatment of acute soft-tissue injury: a systematic review of randomized controlled trials. Am J Sport Med. 2004; 32:251–261.
3.,5. Bleakley, CM and Davidson, GW. Cryotherapy and inflammation: evidence beyond the cardinal signs. Physical Therapy Reviews. Volume 15, Number 6, December 2010 , pp. 430-435(6).
4. Haiyan Lu,  Danping Huang, Noah Saederup, Israel F. Charo, Richard M. Ransohoff, Lan Zhou Macrophages recruited via CCR2 produce insulin-like growth factor-1 to repair acute skeletal muscle injury. FASEB J. 2011 Jan; 25(1): 358–369.
6. French SD, Cameron M, Walker BF, Reggars JW, Esterman AJ. A Cochrane review of superficial heat or cold for low back pain. Spine (Phila Pa 1976). 2006 Apr 20;31(9):998-1006.
7. Bleakley CM1, Costello JT, Glasgow PD. Should athletes return to sport after applying ice? A systematic review of the effect of local cooling on functional performance. Sports Med. 2012 Jan 1;42(1):69-87.

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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