Blogleser berichten immer wieder, dass ihr Kreuzbandriss im Krankenhaus oder beim Arzt gar nicht entdeckt bzw. als Zerrung im Kniegelenk diagnostiziert wurde. Wie kommen solche Diagnosen nach Knieverletzungen zustande? Dieser Artikel fasst Probleme und Fallstricke bei der Diagnostik einer vorderen Kreuzbandverletzungen zusammen. Gleichzeitig zeigt der Beitrag, verschiedene Möglichkeiten auf, wie der Patient seine eigene Diagnose besser absichern kann.
Kreuzbandriss Symptome und ihre klinische Interpretation
Suchen Patienten im Vorfeld einer Knieoperation verschiedene Ärzte auf, wundern sie sich, wie unterschiedlich die Diagnosen und Behandlungsempfehlungen ausfallen – teilweise sich sogar wiedersprechen.
Mögliche allgemeine Erklärungsansätze sind:
- Zutreffende medizinische Diagnosen stehen im engen Zusammenhang mit der Erfahrung und Kompetenz des behandelnden Arztes.
- Jede Diagnose beinhaltet einen Ermessensspielraum in der Behandlung.
- Jede Diagnose ist eine Interpretation der Symptome.
- Hinter jeder Diagnose steht immer ein Mensch mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Wünschen, Interessen und Bedürfnissen.
Wie kommen Diagnosen im Bereich Kreuzbandverletzungen zustande? Ein Beispiel einer Blogleserin.
Samstagnachmittag auf dem Fußballplatz – Diagnose Kreuzbandriss?
[…] Durch einen unglücklichen Zweikampf habe ich mir beim Fußball spielen das Knie verdreht. Später erzählten mir die Zuschauer, dass sie einen lauten Schlag gehört hätten. Den Unfallhergang habe ich nicht wirklich realisiert, da ich sofort starke Schmerzen im Knie hatte.
Zunächst konnte ich nur minimal auftreten, dann habe ich eine kurze Pause gemacht und das Kniegelenk gekühlt. Kurze Zeit später nahmen die Schmerzen ab und ich wurde wieder eingewechselt.
Doch direkt beim folgenden Einwurf, wollte ich mich wegdrehen und spürte, dass mein Knie komplett instabil war – die Schmerzen im Kniegelenk kamen zurück.
Wir sind daraufhin sofort in ein Krankenhaus gefahren. Dort konnte allerdings, aus mir unerklärlichen Gründen, keine korrekte Diagnose Kreuzbandriss gestellt werden. Mein Hausarzt meinte später zu mir, dass ich eine Zerrung habe und das Problem im Knie durch Krankengymnastik wieder verschwindet.
Es vergingen einige Wochen und meine Physiotherapeutin meinte, dass irgendetwas in meinem Knie nicht stimmt. Ich drängte nun auf eine MRT-Untersuchung. Die Diagnose Kreuzbandriss war jetzt eindeutig: „Kreuzbandruptur und Risse im Meniskus“. Ich wandte mich an eine orthopädische Fachklinik. Dort hieß es direkt „Operation am vorderen Kreuzband und Meniskusnaht!“ […].
Nr. 1: Die Wochenende-Falle
Das vordere Kreuzband reißt am häufigsten beim Ballsport in Wettkampfsituation. Diese Events finden häufig am Wochenende statt. Meistens haben die Sportler so starke Knieschmerzen, dass sie sich in die nächste Notaufnahme fahren lassen. Dort treffen sie auf den diensthabenden Arzt – der Begriff Arzt bezeichnet eine Person mit ärztlicher Approbation, d.h., bestandenes Abschlussexamen in der Humanmedizin.
Was die meisten Patienten nicht wissen, in Deutschland gibt es keine ärztliche Ausbildung für die speziellen Aufgaben in einer Notaufnahme. Es kann passieren, dass unerfahrene Assistenzärzte in der Notaufnahme arbeiten – besonders am Wochenende.
In einer Umfrage des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gaben lediglich 8 % der befragten Ärzte an, dass in ihrem Krankenhaus standardmäßig ein Facharzt den Dienst in der Notaufnahme leitet. Im Klartext: Ein Großteil der Knie Patienten wird von Auszubildenden erstversorgt und ggf. weitergeleitet.
Deshalb ist eine genaue Beschreibung des Unfallhergangs mit allen Symptomen in der Notaufnahme wichtig -genauso eine gründliche manuelle Untersuchung. Halten die Schmerzen im Kniegelenk über Tage an oder verschlimmern sich, dann unabhängig von der gestellten Diagnose, unbedingt einen Facharzt aufsuchen.
Auch muss man wissen, dass nicht alle Symptome eines Kreuzbandrisses sofort auftreten – einige Symptome erscheinen möglicherweise zeitverzögert:
- Zerreiß- oder Rupturgeräusch (nicht immer hörbar)
- Zerreißungsgefühl im Kniegelenk
- Gangunsicherheit – Wegknicken („Giving way“)
- Leistungsverlust (manchmal auch erst verzögert)
- Kniegelenkserguss (sofort oder verzögert sichtbar)
- Schmerzen in der Kniegelenkskapsel und Kniekehle (unterschiedlich stark)
- Deutliche Knieschwellung (sofort oder auch verzögert)
- Streck- und Beugehemmungen (auch zeitverzögert)
- Das Gefühl einer Pseudoblockade (nicht zwingend)
- Überwärmung des Kniegelenks.
Nr. 2: Die Zeitfalle bei der Diagnose Kreuzbandriss
Eine ausführliche Diagnostik kostet Zeit. Diese ist bekanntlich Mangelware in deutschen Arztpraxen. Wer als Patient den Eindruck gewinnt, nicht gründlich genug untersucht geworden zu sein, sollte den Arzt wechseln.
Eine zweite Meinung ist das oberste Prinzip bei Knieverletzungen und wird auch von den gesetzlichen Krankenkassen gefördert. Für diese zusätzliche medizinische Meinung benötigt der Kassenpatient nur seine Versicherungskarte – keine Überweisung.
Hinweis: Psychologische Studien zeigen, dass Ärzte neue Diagnosen im Lichte bereits bestehender Diagnosen stellen – daraus mag bitte jeder Blogleser seine eigenen Schlüsse ziehen. Weitere Informationen zu dieser Thematik: MRT-Bilder vom Kniegelenk: Fakt oder Fiktion?
Nr. 3 Die Abklärungsfalle
Jeder Mediziner untersucht in seiner Art und Weise, obwohl für jede Verdachtsdiagnose schriftliche Standardempfehlungen vorliegen. Für den Patienten ist es nicht einfach, zwischen einer gründlichen oder eher oberflächlichen Untersuchung zu unterscheiden. Deshalb listet der Beitrag, die wichtigsten Parameter einer manuellen Untersuchung auf:
Gründliches Abtasten des Kniegelenks:
- Gibt es eine Weichteilschwellung rund um das Kniegelenk?
- Sind Blutergüsse (Hämatome) vorhanden?
- Ist ein Erguss im Kniegelenk fühlbar („tanzende Kniescheibe“)?
- Gibt es Anzeichen einer Thrombose?
- Abasten der Seitenbandansätze (Schmerzpunkte, evtl. Defekte im Bandverlauf)
- Abtasten des Kniegelenkspaltes (Schmerzpunkte, evtl. Defekte im Bandverlauf oder Meniskus)
- Aktive und passive Bewegungsprüfung (Streckung und Beugung)
- Betrachtung des Gangbildes, Beachtung einer evtl. Schonhaltung.
Bei schmerzbedingter Einschränkung der Untersuchungsfähigkeit ist eine Wiederholung der Untersuchung notwendig. Dies sollte nach einigen Tagen der Schonung mit Gehstützen und Schmerzbehandlung möglich sein.
Nr. 4: Die Funktionstests-Falle
Eine positive, vordere Schublade („Schubladenphänomen“) ist charakteristisch für eine Schädigung des vorderen Kreuzbandes. Diese Instabilität im Kniegelenk wird über drei Funktionstests gemessen:
Schubladentest im 90° Winkel
Hinweisend für einen Riss am Kreuzband ist der Schubladentest im 90° Winkel aber erst dann, wenn sich nicht nur der Unterschenkel gegenüber dem Oberschenkel um mehr als 0,5 cm verschieben lässt, sondern zusätzlich das vordere Kreuzband nicht mehr anspannt und der Arzt keinen Widerstand (den sogenannten Anschlag) spürt.
Lachmann-Test
Grundsätzlich ist der 90° Schubladentest weniger charakterisierend für einen Kreuzbandriss als der Lachman-Test – insbesondere bei frischen Verletzungen. Der Lachmann-Test gilt als spezifischer, da in dieser Position der Hebelarm der hinteren (ischiokruralen) Beinmuskulatur minimiert ist. Der Patient liegt auf der Untersuchungsliege bei 20° bis 30° Beugung.
Der Lachmann-Test gilt als positiv, wenn bei Vorbewegen des Unterschenkels eine deutliche Seitendifferenz messbar und kein harter Anschlag zu spüren ist. Negativ ist der Lachman-Test bei keiner oder geringer Seitendifferenz und Verspüren eines harten Anschlags.
Diese Gewichtung der Messergebnisse ist in der Praxis immer subjektiv und stark von der Erfahrung des Arztes abhängig. So kann beispielsweise, trotz positivem Lachman-Test ein fester Anschlag spürbar sein. Dies spricht entweder für eine Partialruptur des vorderen Kreuzbandes oder eine Elongation – obwohl sich der Anschlag bei einem elongierten (überdehnten) Kreuzband etwas „weicher“ anfüllt.
Pivot-Shift-Test
Ein weiterer Test ist der Pivot-Shift-Test (sogenannte Subluxationstest).
Diagnose Kreuzbandriss eine objektive Messung mit Geräten
Jede präzise Diagnostik einer Kreuzbandverletzung sollte zusätzlich mit speziellen Messgeräten (KT 1000, Rolimeter) objektiviert werden. Dabei ist die korrekte Anwendung der Messung genauso wichtig, wie die Wiederholung der Messung – auch die der gesunden Gegenseite.
Hinzukommen bei einem Verdacht auf die Diagnose Kreuzbandriss, weitere Tests, um Begleitverletzungen auszuschließen:
- Varus– und Valgusaufklappung in Streckung des Gelenks
- Varus- und Valgusaufklappung in 20°-Beugung des Kniegelenkes
- Hintere Schublade in 90°-Beugung
- Meniskustests.
Die Sicherheit einer Diagnose „Kreuzbandriss“ mit Hilfe von Funktionstests steigt also:
- mit jedem zusätzlich durchgeführten Test
- mit jeder zusätzlichen Messung
- mit jedem zusätzlichen Untersucher
- mit Einbezug der gesunden Gegenseite
- mit elektronischen Messgeräten.
Nr. 5: Die Akutfalle
Häufig sind Funktionstests am frisch verletzten vorderen Kreuzband nicht durchführbar, weil die Schmerzen während der Untersuchung zu stark wären, oder die Schwellung im Kniegelenk eine korrekte Messung verfälschen würde.
Teil 2 beschreibt weitere fünf Fallen bei der Diagnose gerissenes Kreuzband oder vordere Kreuzbandläsion.