Nach Kreuzband-OP – 5 falsche Erwartungen (2)

By Katrin Glunk

November 23, 2014


Die mediale Vermarktung einer Kreuzband-OP im Hochleistungssport lässt den Eindruck entstehen, dass es sich bei einem Kreuzbandriss, um eine Art von mittelschwerer Erkältung handelt. Die Knieverletzung ist zwar lästig, sie geht aber schnell vorbei. Ein Mythos, wie dieser zweite Teil des Artikels „10 Irrtümer und Erfahrungen nach Kreuzbandriss-OP“ zeigt.

Irrtum Nr. 6 – Gehhilfen weg und alles ist gut

Der langersehnte Tag nach der Kreuzband-OP ist endlich da. Die Vollbelastung ist geschafft – Glücksgefühl pur! Doch mit dem Tag der Vollbelastung nach der Kreuzband-OP beginnt erst die Schinderei. Stundenlanges Training im Fitness Studio und in der Physiotherapie. Endlos viele Trainingseinheiten an der Beinpresse, auf dem Ergometer und das für die nächsten acht bis zwölf Monate. Zudem ist der Weg einer Kreuzbandriss-Reha oft gepflastert mit Rückschlägen. Ein ständiges Auf und Ab!

Irrtum Nr. 7 – Muskelaufbau zählt allein nach der Kreuzband-OP

Nach einer Kreuzband-OP ist das Erreichen der vollen Kniestreckung (mindestens 0-Grad) das Wichtigste. Voraussetzung ist der Aufbau von Oberschenkelmuskulatur und die Fähigkeit diese anzusteuern. Leider gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten (mechanisch und muskulär, koordinativ), die eine volle Kniestreckung nach einer Kreuzbandriss-OP verhindern.
Mein Fokus in der Kreuzbandriss-Reha liegt immer auf dem Erreichen der vollen Streckung im Knie. Erst dann bin ich beruhigt! Die komplette Beugung im Kniegelenk kommt mit der Zeit – bei mir in der Regel nach sechs bis acht Monaten. Eine rückläufige oder eine dauerhaft fehlende Kniestreckung ist unbedingt durch den Facharzt abklären. Die Null-Grad Streckung im Kniegelenk ist die Mindestvoraussetzung für einen flüssigen Gang, ohne die volle Streckung geht nichts.

Irrtum Nr. 7 – Knieorthese möglichst lange tragen

Der klinische Nutzen von Knieorthesen ist bis heute nicht eindeutig geklärt, weshalb die Diskussion über stabilisierende Knieschienen nach vorderen Kreuzbandoperationen kontrovers diskutiert wird. Fakt ist, dass eine dauerhafte Orthesenstabilisation über den verordneten Zeitraum, die verbliebenen körpereigenen Stabilisatoren des Kniegelenks zunehmend atrophieren lässt.
Zudem bieten die „verordneten“ Knieorthesen (medizinisches Hilfsmittel) keinen ausreichenden Schutz bei Verletzungen im Sport – dafür gibt es spezielle Anfertigungen von verschiedenen Herstellern. Die „normalen“ Knieorthesen bieten den Betroffenen im Sport lediglich eine pseudo-psychologische Unterstützung. Es ist daher sinnvoller, seine psychologische Sicherheit über Muskelaufbau und Koordinationstraining zu stärken und nicht über medizinische Hilfsmittel. Joggen mit Knieorthese – ein No-Go!

Irrtum Nr. 9 – Physiotherapie reicht völlig aus

Schön wäre es! Doch die kurzen Physiotherapieeinheiten sind hauptsächlich dazu da, den Patienten anzuleiten und ihn mit geeigneten Knieübungen zu versorgen. Das selbständige Training muss der Betroffene selbst in Eigenregie weiterzuführen.
Damit fordert eine Kreuzbandriss Reha die Selbstdisziplin, wie ich sie selten bei anderen Operationen erlebt habe. Nicht selten riskieren Betroffene ihr optimales Operationsergebnis indem sie bei der Nachbehandlung „schuldern“. Der Schlüssel zum Erfolg lautet: 50% gelungene Kreuzband-OP, 50% Rehabilitation. Die schmerzende Wahrheit heißt: „Ohne Fleiß kein Preis!“ Als Daumenregel: Ich investiere in den ersten sechs Kreuzbandriss-Reha-Wochen etwa durchschnittlich eine Stunde Training pro Tag.

Irrtum Nr. 10 – Kreuzbandriss ist keine Erkältung

Zu einer Erkältung gehören die typischen Symptome, wie verstopfte Nase, krampfartiger Husten und ein Kratzen im Hals. Sind diese Symptome verschwunden gelten Erkrankte wieder als gesund.
Das ist nach einer Kreuzband-OP anders. Symptomfreiheit bedeutet hier lediglich, dass alles in Ordnung ist. Mehr aber nicht! Das ehemals verletzte Knie ist und bleibt bei vielen Betroffenen eine Lebensaufgabe. Zum Tragen kommt die „alte“ Knieverletzung oft bei außenordentlicher Belastung, im Alter oder wenn der Körper allgemein geschwächt ist. Teilweise reicht auch ein längerer Bewegungsmangel aus, um an die Knieverletzung erinnert zu werden.
Eines ist klar, die Kreuzbandplastik ist und bleibt ein Ersatz – mal mehr oder weniger gut. Bei wenigen Glücklichen wird alles wie vorher.

Mehr Infos: „4 Mythen beim Aufbautraining nach einem Kreuzbandriss.“

Über die Autorin

Dipl. Psychologin Katrin Glunk | Personal Coach, Fitness- und Reha-Trainerin.

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